Ein Bett im Kraftwerk

Schutz und Hygiene am Arbeitsplatz spielen durch die Pandemie eine noch bedeutendere Rolle als zuvor in Unternehmen. In einigen Fällen steht sogar ein Bett im Kraftwerk für den Fall einer Quarantäne. „Schutz und Hygiene am Arbeitsplatz“ ist auch ein Top-Thema bei der A+A 2021 in Düsseldorf (26. bis 29. Oktober 2021).
Weiterarbeiten trotz Corona – der Arbeitsschutz in Deutschland hat schnell reagiert, um das zu ermöglichen: Knapp einen Monat nach Pandemie-Ausbruch wurde ein branchenübergreifender Mindeststandard durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) geschaffen, den man dann mit konkreten Schutzmaßnahmen in der Sars-CoV-2-Arbeitsschutzregel unterfütterte. Sie wird ständig aktualisiert und zeigt bis heute auf, unter welchen Bedingungen Menschen in Betrieben aktiv werden können.
Der zentrale Begriff in diesem Zusammenhang lautet: Gefährdungsbeurteilung. Unternehmen müssen beachten, dass das Risiko einer Corona-Infektion zu den Gefährdungen hinzukommt, denen Beschäftigte im Zuge ihrer beruflichen Tätigkeit ausgesetzt sind.
Doch wie sieht das in der Praxis aus? Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat sich in verschiedenen aktuellen Analysen mit dem Arbeitsschutz in der Corona-Krise beschäftigt und unter anderem untersucht, welche Arbeitsschutzmaßnahmen umgesetzt und eingehalten werden.
Das Ergebnis auf der Grundlage von Daten des sozio-oekonomischen Panels (SOEP) mit mehr als 3.000 Antworten: Die Pflicht, eine Maske zu tragen und Abstand zu halten, ist in deutschen Betrieben ebenso normal geworden wie Nies- und Hustenetikette und regelmäßiges Händewaschen.
Organisatorische Maßnahmen wie flexible Arbeitszeiten oder die Umgestaltung von Aufgaben und Teams werden indes offenbar weniger genutzt. Das merkt die BAuA kritisch an, denn schließlich sollen Technik und Organisation als erstes die Person schützen, bevor diese selbst Maßnahmen ergreift – ganz im Sinne des TOP-Prinzips, das auch im Arbeitsschutzgesetz verankert ist.
Wie dieser Grundsatz in der Praxis umgesetzt werden kann, zeigt sich am Beispiel der AVR Umweltservice in Sinsheim: Geschäftsführer Peter Mülbaier findet es folgerichtig, dass die Arbeit von Menschen infolge der Pandemie neu organisiert werden muss. „Wir gehören als Entsorgungsunternehmen für gewerbliche Abfälle und Energieversorger mit Kraftwerken und Solarparks im Rhein-Neckar-Kreis zur wichtigen Infrastruktur. Der Betrieb muss laufen, ohne dass die 160 Mitarbeiter durch eine mögliche Erkrankung gefährdet werden“, sagt der 64-Jährige.
Mülbaier machte die Neuorientierung zur Chefsache und verleiht den Maßnahmen, die umgesetzt werden müssen, dadurch besondere Bedeutung. So geschieht es nach einer Beobachtung der BAuA in 98 Prozent der deutschen Betriebe.
Gemeinsam mit einem Krisenstab verwirklicht der Geschäftsführer eine Strategie, die dem Unternehmen dank der Erfahrung der Pandemie-Monate nun neues Handwerkszeug für die Zukunft beschert hat: Rund 80 Prozent der Mitarbeiter wurden zunächst ins Homeoffice geschickt, um Kontakte radikal zu reduzieren. Inzwischen arbeiten viele hybrid – teils zuhause, teils in der Firma -, und melden ihre Zeiten via App.
Geschäftsführer und Prokuristen befinden sich nie alle gleichzeitig an einem Ort und tauschen sich in Videokonferenzen aus, um Ausfälle durch Erkrankungen zu vermeiden. Die Entsorgungsfahrzeuge fahren mit identischen Teams in versetzten Schichten – „selbst wenn eine aufgrund einer Infektion ausfallen sollte, kommt die nächste rasch hinterher“, erklärt Mülbaier.
Über aktuelle Entwicklungen im Zuge von Corona informiert der firmeninterne Krisenstab alle Mitarbeitenden mit einem regelmäßigen Newsletter: „So kennt jeder die geltenden Bestimmungen, und weiß, was zu tun ist“, sagt der Geschäftsführer. Seine ungewöhnlichste Aktion: Er ließ ein Bett in einem der Kraftwerke der AVR Umweltservice aufstellen, falls ein Mitarbeitender dort in Quarantäne gehen muss. Bisher blieb es unbenutzt, wie auch ansonsten Corona-Ausbrüche verhindert werden konnten.
Auch andere Firmen setzen auf Flexibilität und neue Strukturen, um die Mitarbeitenden vor Ort zu schützen. Das gilt etwa für den Chemikalienhersteller OQ (früher OXEA) mit sechs Produktionsstandorten in aller Welt. Rund 1.400 Menschen sind allein im mitarbeiterstärksten Werk in Oberhausen beschäftigt.
In Schichten wechseln sich dort Kollegen ohne die üblichen persönlichen Übergabe-Besprechungen ab. Stattdessen werden wichtige Informationen schriftlich im Schichtbuch festgehalten oder telefonisch ausgetauscht. Sobald die eine Gruppe Arbeiter die Tür des Leitstandes im Werk schließt, betritt die nächste den Raum – stets die gleichen Menschen arbeiten im Abstand von anderthalb Metern zusammen.
Für OQ gilt ebenso wie für die AVR Umweltservice: Die Unternehmensverantwortlichen sind weiter vorsichtig und beobachten die Entwicklung der Pandemie, die sie mit ihrem neuen Rüstzeug bisher gut bewältigt haben. So soll es weitergehen, auch wenn noch nicht alle Hürden genommen sind. Peter Mülbaier etwa macht sich Gedanken, weil sich bisher nicht alle Mitarbeitenden impfen lassen wollen – und man sie dazu rechtlich auch nicht verpflichten kann.
Wie der Zusammenhalt innerhalb von Unternehmen sich in einer solchen dynamischen Situation weiterentwickelt, das beschäftigt auch das Expertengremium des Rates der Arbeitswelt.
In seinem ersten Bericht zum Arbeits- und Gesundheitsschutz geht der Rat zwar davon aus, dass das Arbeiten im Homeoffice zukünftig an Bedeutung gewinnt – möchte aber zugleich eine ausreichende Präsenz aller Beschäftigten im Betrieb sicherstellen, „um die Kommunikation und Innovationskraft im betrieblichen Alltag zu gewährleisten“.
Für AVR Umweltservice-Geschäftsführer Peter Mülbaier spielt in diesem Zusammenhang auch der Gemeinschaftsgedanke eine Rolle und er sinniert: „Zu einer Weihnachtsfeier können wir wohl nicht einladen, wenn viele Impfangebote weiter ausgeschlagen werden.“
Text: Natascha Plankermann, Journalistin
Links:
www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regelwerk/AR-CoV-2/AR-CoV-2.html
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