Aus der Corona-Krise eine Chance machen
Frank-Uwe Hess ist Partner bei T.A. Cook Consultants. Er erklärt in diesem exklusiven Fachbeitrag in der B&I, wie Sie Ihre Asset Management Strategie in Corona-Zeiten taktisch ausrichten sollten. Denn COVID-19 macht auch vor der Prozessindustrie nicht halt. Weltweit produzieren Anlagen im Notfallmodus oder stehen still. Da aktuell weder Dauer noch wirtschaftliche Folgen der Krise absehbar sind, gilt es, Kosten zu minimieren, ohne an Effektivität einzubüßen. Diese sechs Empfehlungen helfen Ihnen dabei, Ihr Asset Management anforderungsgerecht auszurichten und dadurch aus der Krise eine Chance zu machen.
Der „Bullenmarkt“ ist eingebrochen. Elf Jahre kannten die Börsenkurse nur eine Richtung: aufwärts. Manche Börsianer und Anleger wähnten sich in Zeiten, in denen sogar „Schweine fliegen können“. COVID-19 hat dem schier ewigen Aufwärtstrend ein jähes Ende bereitet. Eine globale Rezession scheint unvermeidlich.
Die einzige Frage, die zur Zeit noch niemand seriös beantworten kann, ist: Welche Entwicklung wird die Rezession genau nehmen? Ökonomen unterscheiden je nach Kurvenverlauf zwischen sogenannten V-, L- oder U-Bewegungen.
Innerhalb nur weniger Tage mussten Unternehmen ihre Angebotskapazitäten drastisch einschränken. Airlines, Reisebüros, Hotels, Autohersteller, Zulieferer – zunehmend alle Branchen sind betroffen. Sogar erste Produktionsanlagen stehen – unter anderem bei Mercedes, VW, Tesla oder Schaeffler – für die nächsten vier bis sechs Wochen still. Und beinahe täglich ziehen weitere Unternehmen nach, Ende der Entwicklung offen.
Doch was bedeutet die dramatische Situation für das Asset Management in der Prozessindustrie? Aktuell geht es innerhalb der Asset Management-Community nicht (mehr) um die Optimierung der Verfügbarkeit. Stattdessen kämpfen die Beteiligten darum, Kosten zu senken, ohne dabei die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Anlagen zu gefährden.
Um diesen Balanceakt – und damit die Krise – möglichst erfolgreich zu gestalten, braucht es klare und eindeutige Führung. Doch wie sieht gutes Krisenmanagement in Corona-Zeiten konkret aus?
Wir empfehlen sechs Maßnahmen, die Ihnen helfen sollen, Ihren Verantwortungsbereich bestmöglich durch die kommenden Wochen und Monate zu steuern.
- Geplante Anlagenabstellungen vorziehen
Bereiten Sie Ihre Organisation darauf vor, gesetzlich oder technisch erforderliche Anlagen-Abstellungen, die ursprünglich für Ende 2020 oder 2021 geplant waren, früher durchzuführen.
Prüfen Sie vor allem, ob die notwendigen Voraussetzungen dafür gegeben sind. Sprich: Sowohl bei Ihren Dienstleistern als auch in Ihrem eigenen Unternehmen muss ausreichend Personal verfügbar sein, sobald der aktuelle Lockdown endet.
Wenn wir eines aus der Finanzkrise 2008/2009 gelernt haben, dann, dass die Weltwirtschaft rund zwei Jahre benötigt, um sich von einem Schock dieser Größenordnung wieder voll zu erholen.
In den nächsten Monaten werden im Umkehrschluss Nachfrage und Produktpreise deutlich sinken. Der Vorteil: Das gilt auch für nahezu alle Dienstleistungs- und Materialkosten. Nutzen sie dieses „Window of Opportunity“ klug.
- Willkürliche Budgetkürzungen vermeiden
Wir alle wissen, dass die Instandhaltung in Zeiten knapper Kassen einen Beitrag zur Kostenreduktion leisten muss, denn aktuell lautet die Devise „Cash is King“.
Wenn Sie nun Ihre Instandhaltungskosten pauschal senken, werden Sie die Auswirkungen in ein oder zwei Jahren deutliche zu spüren bekommen – also genau in dem Zeitraum, wo die Wirtschaft vermutlich langsam wieder an Fahrt aufnimmt.
Für Sie würde das bedeuten: Wenn die Nachfrage auf dem Markt wieder anzieht, werden Sie nicht die erforderliche Anlagenverfügbarkeit liefern können, die nachgefragt wird. Prüfen sie also sehr besonnen und systematisch, wo Sie Ihre Kosten mit möglichst geringen Risiko senken können, um nicht versehentlich langfristige Wettbewerbsnachteile zu verursachen.
- Stillstandarbeiten (TA Scope) maximal reduzieren
TA Arbeitspakete zu Erweiterungs-Investitionen sollten unverzüglich auf den Prüfstand gestellt werden. Jedoch alle Arbeitspakete, die einer kostenoptimalen Produktion dienen, bleiben im TA-Scope enthalten. Alle anderen Investitionsarbeiten setzen Sie dagegen „on hold“, bis die Wirtschaftsprognosen wieder günstiger sind.
Die gleiche Analyse sollten Sie auf Arbeitspakete anwenden, die über die gesetzlich erforderlichen Prüfungen hinausgehen. Minimieren Sie Ihren TA-Scope also so weit wie möglich.
Es ist deutlich kosteneffizienter, demnächst zwei kleine TA durchzuführen, anstatt einen großen, komplexen Stillstand. Schon allein aufgrund der zu erwartenden Ressourcen-Engpässe.
- Präzision bei Wartungs- und Inspektionsarbeiten maximieren
Nichts erhöht die MTBF-Zeiten (MTBF: Mean Time Between Failures) mehr als die konsequente Überwachung von Verschleiß, die Hauptursache der meisten Anlagenausfälle.
Wenn Anlagenkomponenten ruckeln, Geräusche verursachen, heiß werden oder schmutzig sind, halten sie nicht so lange durch wie Anlagenkomponenten die ruhig, leise und kühl laufen und im sauberen Zustand sind.
Briefen Sie Ihre Operator auf die optimalen Referenzzustände von Befestigungselementen, Schmierung, Ausrichtung und Gleichgewicht, und achten Sie auf die effiziente Kommunikation zwischen Produktion und Instandhaltung.
- PM-Optimierung und Fehlerbeseitigung
Fast jeder Betrieb, für den wir in den letzten 25 Jahren bisher tätig waren, führt routinemäßig PM-Arbeiten (Preventive Maintenance – vorbeugende Instandhaltung) aus, die ineffizient sind. Optimieren Sie alle Wartungs- und Inspektionspläne, bei denen trotz definierter PM-Maßnahmen ein hoher Anteil an korrektiven Kosten vorliegt.
Weil das zu erwartende Produktionsniveau in den nächsten Monaten relativ gering ausfallen dürfte, sollten Sie die Gelegenheit nutzen, eine Ursachenanalyse (RCA) ihrer wesentlichen Anlagenfehler (Bad Actors) vorzunehmen.
Bad Actors fliegen allzu oft unter dem Radar, sind aber für einen hohen Anteil an ungeplanter Instandhaltung verantwortlich. Es handelt sich um Störungen, die zwar im Einzelnen keine große Auswirkung auf die Anlagenverfügbarkeit haben, aber in der Summe hohe Kosten verursachen (können).
Eine Bad Actor-Analyse und damit verbundene PM-Optimierung (PMO) können Ihre Instandhalter und Ingenieure ohne Weiteres vom Home-Office aus vornehmen. Nutzen Sie die aktuelle Situation und freien (Zeit-)Kapazitäten, um die zukünftig zu erwartenden Störungskosten erheblich zu reduzieren.
- Instandhaltungsmaßnahmen der Marktnachfrage anpassen
Es ist absehbar, dass die sinkende Marktnachfrage zu einem sinkenden Produktionsvolumen führt. Für die Instandhaltung bedeutet dies, von einer verfügbarkeitsorientierten Strategie, in eine kostenorientierte Strategie umzuschalten. Bewerten Sie daher alle Instandhaltungsmaßnahmen hinsichtlich ihres Wirkungsbeitrages zur Verfügbarkeit, sowie den damit verbundenen Instandhaltungsaufwand.
Prüfen Sie sämtliche Instandhaltungsstrategien entsprechend der neuen Verfügbarkeitsbedingungen und streichen, strecken oder verschieben Sie so viele Maßnahmen wie möglich, ohne das Ausfallrisiko über das angestrebte Verfügbarkeits-Niveau unnötig zu erhöhen oder gesetzliche Bestimmungen zu verletzen. Stellen Sie Ihre Instandhaltung auf ein Demand-Driven-Instandhaltungsmodell um.
Fazit
Die Corona-Krise macht eine kostenfokussierte Asset Management Strategie aktuell unumgänglich. Für viele Anlagenbetreiber stellt das einen Strategiewechsel um 180 Grad dar.
Damit diese Kehrtwende möglichst erfolgreich gelingt, haben wir Ihnen sechs zentrale Handlungsfelder aufgezeigt. Der wichtigste Rat versteckt sich dabei unter Punkt 2, da er alle weiteren Aspekte unmittelbar betrifft.
Es ist essentiell, reflexartige (Panik-)Reaktionen und willkürliche Kostenkürzungen zu vermeiden. Mit unbedachten Kurzschlusshandlungen gefährden Sie ansonsten die Fähigkeit, Ihre Anlagen in wenigen Monaten wieder zuverlässig auf Volllast zu fahren. Gehen Sie also stringent und vor allem sehr methodisch vor.
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