Industrielle Gleichstromnetze benötigen neue Schutzkonzepte

Gleichstromübertragung bietet viele Vorteile in der Industrie. Dazu gehören Energieeinsparungen und die verbesserte Integration von Speichern und erneuerbarer Energieerzeugung wie Fotovoltaik und die deutliche Reduzierung der Einspeiseleistung vom Versorgungsnetz – 85 Prozent Reduzierung durch DC-Netze konnten in realen Anlagen gegenüber einer AC-Versorgung erreicht werden. Allerdings erfordern DC-Netze laut Dr. Hartwig Stammberger, Manager Technical Platform Breaking & Switching, Eaton Electrical Sector/EMEA, auch neue Schutzkonzepte, da herkömmliche Schalter dort keine optimale Schutzwirkung erreichen.
Nachhaltigkeitsziele spielen auch im verarbeitenden Gewerbe eine immer größere Rolle und vor diesem Hintergrund muss die Branche den eigenen Energieverbrauch drastisch reduzieren. Als eine von vielen Maßnahmen wird dabei auch die Einführung von Gleichstromnetzen vor Ort diskutiert. Dafür spricht einerseits, dass in der modernen Stromerzeugung Gleichstrom eine wesentlich größere Rolle spielt als zu Zeiten der thermischen Großkraftwerke.
Fotovoltaikanlagen und Brennstoffzellen als Energiequelle liefern direkt DC Output. Batteriespeicher, die zukünftig eine wichtige Pufferfunktion wahrnehmen werden, arbeiten ebenfalls mit Gleichstrom. Gleiches gilt für IT-Infrastrukturen und Schnellladestationen für E-Autos. Hinzu kommt, dass DC-Installationen lediglich drei Leiter benötigen, während konventionelle dreiphasige Verkabelungen mindestens vier Leiter benötigen. Dadurch können Einsparungen von etwa 50 Prozent Kupfer gegenüber heute üblichen Verkabelungen erreicht werden und die Verlustleistung der Leitungen sinkt um etwa die Hälfte (45 Prozent).
Anforderungen an Schutzschalter
Neben den Vorteilen bringen Gleichstromnetze allerdings auch neue Herausforderungen mit sich. Im Fall eines Kurzschlusses steigt der Fehlerstrom aufgrund der vielen Kapazitäten im DC-Netz sehr schnell. Ein Anstieg im zweistelligen Amperebereich pro Millisekunde ist möglich.
Im Gegenzug fällt die Spannung ebenfalls äußerst schnell ab. Herkömmliche mechanische Schutzschalter sind für diese Bedingungen nicht geeignet, da sie Abschaltzeiten von mehreren Millisekunden aufweisen. Für DC-Netze sind also wesentlich schnellere Schutzschalter notwendig.
Außerdem muss verhindert werden, dass sich verschiedene Sektoren eines Gleichstromnetzes gegenseitig beeinflussen. In einem Sektor werden jeweils verschiedene Antriebe und Lasten, die eine funktionale Einheit bilden, zusammengefasst und gemeinsam geschützt. Ein Risiko besteht nun darin, dass ein benachbarter Sektor Energie in eine Fehlerstelle einspeisen könnte, was zum Abschalten des gar nicht betroffenen Sektors führen könnte. Auch um diesen Effekt zu verhindern, müssen Schutzeinrichtungen sehr schnell schalten.
Zudem sind bei Schutzschaltern in DC-Netzen Zusatzfunktionen erwünscht, wie die Spannungsüberwachung an netz- und lastseitigen Klemmen sowie die Bereitstellung diverser Mess- und Statuswerte. Dafür sollte es möglich sein, beim Über- bzw. Unterschreiten definierter Spannungsgrenzwerte einen Sektor abzuschalten. Die Kapazitäten in Geräten des zu schützenden Sektors beim ersten Einschalten vorzuladen ist eine weitere Funktion des Leistungsschalters.
Umsetzung von DC-Schutzschaltern
Rein mechanische Schutzschalter verfügen weder über die geforderte Dynamik im Abschaltverhalten noch über die gewünschten Zusatzfunktionen. Daher wurden im Rahmen des Forschungsprojekts DC-INDUSTRIE neue Schutzgeräte auf Basis von Leistungshalbleitern entwickelt und praktisch erprobt.
Bei diesen Halbleiterschaltgeräten übernehmen bidirektionale IGBT (Insulated-Gate Bipolar Transistor)-Module sowohl die Stromführung als auch das Ein- und Ausschalten. Dies hat den Vorteil, dass keine mechanischen Teile mehr bewegt werden müssen und keine Lichtbögen entstehen können. Smart DC Breakers von Eaton erreichen beispielsweise eine Ausschaltzeit von weniger als 100 Mikrosekunden und sind damit mehr als 100-mal schneller als konventionelle Schalter. Die Fehlerenergie liegt zudem bei deutlich unter einem Prozent im Vergleich zu mechanischen Schaltern.
Neben diesen Vorteilen von Halbleiterschaltern ergibt sich allerdings auch ein Nachteil daraus, dass die IGBT-Module kontinuierlich Strom führen und damit eine höhere Verlustleistung gegenüber mechanischen Kontakten aufweisen. Dem lässt sich durch speziell entwickelte Hybridschalter entgegenwirken, die zusätzlich noch einen mechanischen Kontakt besitzen, der im eingeschalteten Zustand die Stromführung übernimmt. Dieser hat eine geringere Verlustleistung als die Halbleitermodule.
Um dennoch die benötigte Schaltgeschwindigkeit zu realisieren, wird der mechanische Schalter über einen speziellen Aktor besonders schnell geöffnet und ein parallel geschaltetes IGBT-Modul übernimmt anschließend die Stromunterbrechung. Ein Varistor begrenzt die Spannung und übernimmt den Stromfluss, nachdem das Halbleitermodul ausgeschaltet wurde.
Schutzschalter dieser Bauart können die Energie, die im Schadenfall in einem Gleichstromnetz auftritt, deutlich reduzieren und die Sicherheit von Personal und Anlagen gewährleisten.
Autor: Dr. Hartwig Stammberger
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