Über die Frage nach dem „richtigen Produkt“ …

Die Auftragsbücher sind voll, die Entwicklungskapazitäten konzentrieren sich auf die Abarbeitung von Kundenspezifikationen, also eigentlich alles okay im Großen und Ganzen. Das Thema „Transformation“ ist zwar auf der Agenda, aber hat keine hohe Dringlichkeit. Ist das so angemessen? Wenn man die Frage „Wird unser Produktportfolio in 10 Jahren immer noch gleich aussehen?“ positiv beantworten kann, ist das durchaus passend. Für alle anderen stellt sich aber die Frage nach einem zeitgemäßen Produktmanagement. Die Wege dorthin müssen gefunden und die vorhandenen Lösungen evaluiert werden, erklärt Thilo Schlemvogt, CEO mind_IP, in diesem Beitrag.
Der Transformationsprozess an sich ist ein Systemwandel vom etablierten synchronisierten System – mit Branche, Wettbewerb, Unternehmen, Lieferanten, Kunden und Leistungsangebot – zu einem neuen, anderen System. Die Tücke bei diesem Systemwandel ist, dass er nach den Gesetzmäßigkeiten der Kritikalität erfolgt: Erst passiert lange Nichts und dann genügt eine Kleinigkeit und der Systemwechsel findet statt, wie das folgende Beispiel deutlich macht.
Wenn man über einen zugefrorenen See läuft, passiert erstmal nichts. Dann erst knackt es, aber das Eis hält noch. Dann plötzlich aber bricht das Eis und man ist in einem neuen System. Die Herausforderung dabei besteht also darin, dass man sich auf den Systemwandel rechtzeitig vorbereiten und vor allem darauf einstellen sollte, denn er wird kommen in jeder Branche. Offen sind nur das Wann und das Wie.
Niemand hat die berühmte Glaskugel
Dieser Systemwandel folgt zwar den Gesetzmäßigkeiten der Kritikalität, aber wird sich über die nächsten Jahrzehnte fortsetzen – vor allem forciert durch die neuen digitalen Technologien: Das führt zu völlig neuen Lösungsmöglichkeiten, an die bisher keiner gedacht hat.
Für die Unternehmen bedeutet das, die Antwort auf die Frage nach dem richtigen Produkt in einem komplexen Konglomerat von Abhängigkeiten kontinuierlich neu bewerten zu müssen. Die Gefahr dabei besteht darin, dass dieser Wandel auf den ersten Blick primär nur technologiegetrieben erscheint, doch die wahren Game-Changer werden beim Kundennutzen und den Lösungsmöglichkeiten passieren.
Digital Farming als Vorreiter
Beispiel: Digital Farming. Die Digitalisierung der Landwirtschaft, stellt den Bedarf von Landwirten nach effizienterer und ertragsoptimierter Gestaltung der eigenen Arbeit in den Fokus.
Die Kombination aus dem Wissen der Landwirte, der IT mit KI und dem Wissen der Maschinen- und Anlagenbauer führt zu einem völlig neuen Produkt – und das mit einem neuem und erweiterten Nutzen, an dessen Machbarkeit vorher keiner gedacht hat.
Es braucht also einen Zukunftsradar, der das richtige Produkt ganzheitlich im Dreiergestirn von Technologie, Kundennutzen und neuen Lösungsmöglichkeiten kontinuierlich treffsicher identifiziert.
Bekannten Lösungen und Systeme
In diesem Kontext tauchen immer wieder die Schlagworte Product Lifecycle Management (PLM), Produkt-Portfolio-Management (PPM), Produktentwicklung (PE), Produktentstehungsprozess (PEP) und Project Management (PM) auf. Doch wie passen sie dazu, wie passen sie zu diesen neuen Herausforderungen?
So ist Product Lifecycle Management (PLM) eigentlich eine Management-Methode, die jedoch faktisch eher Product Data Management-Systeme (PDM) sind, die unterschiedliche Aspekte und Fragestellungen aus dem Blickwinkel der Produktion von der Konstruktion bis zum Lebenszyklus-Ende transparent machen. Vermehrt KI-unterstützt führt das zu verbesserten Prognosen.
In einer Trainingsbeschreibung der Fraunhofer IEM Academy zu PLM heißt es: „Im Laufe des gesamten Lebenszyklus eines Produktes entstehen Unmengen an Daten. Die Herausforderung besteht darin, die Daten vollständig zu erfassen, eine Durchgängigkeit über die relevanten Unternehmensprozesse systematisch herzustellen und sie sämtlichen Mitarbeitenden zentral zur Verfügung zu stellen, damit sie die relevanten Informationen finden und effektiv nutzen können.“
Das Product Portfolio Management (PPM) hat seinen Ursprung im Projekt-Management (Budget-, Kosten-, Termin-, Ziel-Steuerung von Einzelprojekten hochaggregiert auf das Gesamtportfolio). Die Idee dahinter: Aus einem Entwicklungsprojekt wird irgendwann ein Produkt. Der Hauptblickwinkel liegt hier von einer vorhandenen Produktidee bis zur Markteinführung. Project Management gleicht dem PPM, doch steht dabei die detaillierte Einzelprojektsteuerung im Mittelpunkt, weniger die Steuerung der Projekte in der Gesamtsicht.
Blick auf Gesamtzusammenhänge
An dieser Stelle wird klar, dass dies alles unverbundene Insellösungen und Teiloptimierungen sind, die die Frage nach dem „richtigen Produkt“ immer nur aus einem bestimmten Blickwinkel betrachten. Die Gesamtzusammenhänge und die Wechselbeziehungen zwischen Technologie, Kundennutzen und Lösungsmöglichkeiten und deren Veränderungen versickern, die Chancen können nicht erfasst werden. Problematisch ist zudem, dass diese Systeme auf der Grundannahme stabiler Unternehmensumfelder basieren und nur wenige und vorhersehbare Veränderungen voraussetzen.
Am Beispiel PLM lässt sich das sehr gut verdeutlichen. Den häufig in diesem Zusammenhang ins Spiel gebrachten Technologien wie Product Data Mining oder KI liegt die Annahme zugrunde, aus Produkt-Ist-Daten über Algorithmen – die Nichts anderes sind als Erfahrungswertzusammenhänge aus der Vergangenheit – Folgerungen für die Zukunft zu ermitteln.
Das ist passend und richtig, wenn in einem bestehenden Produktportfolio die Produktionskosten und -risiken minimiert werden sollen. Der Ansatz hilft aber nicht, wenn die Frage nach dem „in Zukunft verkaufbaren Produkt“ beantwortet werden muss, da die Antwort darauf eben nicht mehr aus der Vergangenheit ableitbar ist.
Es bleibt der Produktentstehungsprozess (PEP). Er existiert in jedem entwicklungsaktiven Unternehmen und funktioniert in der Regel gut. Die Frage „Wie zahlt er auf diese neuen Herausforderungen ein?“ muss mit „Nicht besonders gut, da er auf Effizienz in der Abarbeitung von Anforderungen ausgerichtet ist“ beantwortet werden.
Ein zeitgemäßer Prozess können müsste aber über den gesamten Lebenszyklus eines Produktes – von der Idee bis zum Phaseout – Veränderungen kontinuierlich erfassen, bewerten, entscheiden und umsetzen. Die daran Beteiligten sollten dabei die eigene Wahrnehmung öffnen und systematisch alle Impulse aus dem Unternehmensumfeld aufnehmen. „Der Blick über den Tellerrand“ wäre also gewährleistet und es kommt nur noch selten zu Überraschungen, aber zu vielen Chancen.
Die Gesamtzusammenhänge müssen transparent gemacht und der Kundenbedarf und Kundennutzen sowie die Technologie ganzheitlich betrachtet werden. Die Komplexität wäre so handhabbar. Dass jeder in seinem Fachgebiet für sich und alle anderen trotzdem gemeinsam an einem Strang ziehen, wäre auf diesem Weg machbar. Das Alles führt in Summe zu treffsicheren Entscheidungskriterien, die objektiv und zukunftsgerichtet sind. Die Ressourcen könnten entlastet und auf das „Richtige“ konzentriert und Fehlinvestitionen vermieden werden.
Fachabteilungsverbindende Produktziel-Ebene als Lösungsweg
Ergänzt man den bewährten Detailprozess um eine Zukunftsradar-Ebene, können die Fachabteilungen als Experten verbindet werden und als Input- und Output-Plattform für Veränderungen dienen.
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